Tallinn – Die erste Woche

Tallinn – Die erste Woche
(Von Christa und  Michael)

(Michael) : Die ersten Rundgänge in Tallinn waren etwas ernüchternd – überall Trümmer, desolate Häuser, wegbröckelnde Kaimauern, jede Menge Baustellen … . Und das sollte nun der Wunderort Tallinn sein, wo es die weltmeisten Startups gibt???

Nun – um gerecht zu sein, es gibt nicht nur desolate, mehr oder weniger zerfallene, sondern auch wunderschön renovierte Häuser. Das, was man sieht, sind die Spuren seiner Geschichte, in der Estland immer wieder besetzt wurde – von Dänemark, Deutschland, Rußland (die Liste ist sicherlich unvollständig). Insbesondere die Sovietzeit hat unschöne Spuren hinterlassen. Und die vielen Baustellen zeigen einfach nur an, daß heftig auf einen schöneren Zustand hingearbeitet wird. Und in der sehr schönen Altstadt ist nichts davon zusehen … .

Estland befindet sich im Aufschwung – und da es praktisch keine Bodenschätze gibt, hat es sich vor allem auf IT etc. ausgerichtet. In vielen Dingen ist es Vorreiter – ich nenne hier nur das Thema e-Residency. Und neben den alten Stadtteilen gibt es auch neue und solche mit einer gemischten Bebauung – mit supermodernen Gebäuden. Sie zeigen den Aufschwung an.

Nach einer Weile treten diese Äußerlichkeiten in den Hintergrund – denn natürlich gibt es hier auch die Esten. Sie sind zunächst recht introvertiert, erweisen sich dann aber als sehr herzlich, zuvorkommend und gastfreundlich. Ein Beispiel ist die im vorherigen Beitrag beschriebene Einladung, die estische Weise die Mitsommernacht zu begehen, kennen zu lernen. Von anderer Seite bekamen wir Tips für lohnenswerte Ausflugsziele – und wurden auch noch dort hingefahren.

Naturliebe scheint hier sehr im Vordergrund zustehen. Bei meinen Zeitrafferaufnahmen zur Mitsommernacht (vorheriger Beitrag) blieben einige bis morgens um 3:00 am Strand und um 4:00 kamen bereits die nächsten, um den Sonnenaufgang zu sehen. Ich kann sie nur mögen …

Schließlich gibt es noch unsere University, derentwegen wir ja gekommen sind: Alles beginnt (natürlich) mit der Registrierung und vielen Hallos. Wir treffen viele Teilnehmer vom Vorjahr in Barcelona und die Wiedersehensfreude ist jedes Mal groß. Und es gibt jede Menge neue Teilnehmer zu begrüßen – die Teilnehmerzahl hat sich verdreifacht. Alles ist weit professioneller geworden. Das Team hat sich unglaublich ins Zeug gelegt.

Von der Themenseite ist die erste Woche überwiegend dem Thema Estonia (Estland) gewidmet: Sehenswürdigkeiten, Geschichte, .Charakter der Menschen, Wetter (nicht zu vergessen) – und vor allem dem Thema e-Residency. Ein e-Resident kann innerhalb weniger Minuten in Estland ein Bankkonto und eine Firma eröffnen sowie Dienstleistungen in Estland in Anspruch zu nehmen. Das Programm zielt in erster Linie auf ortsunabhängige Unternehmer – etwa Software-Entwickler oder Autoren. Es erfolgt alles online. Hier ist Estland Vorreiter. Eine große Chance für die Digital Nomads – und einige Teilnehmer haben die Chance genutzt. Wiederum zeigen sich die Estländer sehr hilfsbereit – richtig schön und angenehm.

Ein kleiner Wehrmutstropfen für die Pioniere, die letztes Jahr schon in Barcelona waren: Zwar ist alles perfekter – durch die große Teilnehmerzahl und den Abstand der Sprecher zum Publikum (in Barcelona gab es keine Bühne, die Sprecher standen fast im Publikum) ist jedoch auch alles weit anonymer geworden. Die Pioniere sind jedoch weiterhin miteinander verbunden und begegnen sich weiter mit herzlichen Umarmungen – wie schön ….

(Christa) : Tallinn – Eindrücke von der zweiten Woche

Wer in Mindvalley U in Barcelona war, spürt den großen Unterschied zu Mindvalley U Tallinn.

Barcelona City sprudelt über vor Fröhlichkeit und Lebendigkeit. Die vielen Cafés und Restaurants auf den breiten Boulevards, durch die wir oft mitten hindurch gingen, vermitteln Nähe und Vertrautheit, und die Menschen steckten uns mit ihrer Ausgelassenheit an. Die Wärme – für uns oft Hitze – macht die Menschen offen und frei. So war es auch in der Universität. Nach einer Woche kannte jeder jeden und wir begegneten uns mit Herzlichkeit, Umarmungen und vielen Gesprächen.

Anders in Tallinn. Hier ist es windig und kühl. Die Menschen sind still und verschlossen. Nur in der Altstadt, wo überwiegend Touristen herumlaufen, ist es lebendiger und lauter. In der Universität sind diesmal 3 mal so viele Studenten und man kennt nur wenige. Auch durch die Bühne, auf der die Redner stehen – entfernt von den Zuhörern – fühlt es sich unpersönlicher an, was die hohe Qualität der Vorträge aber nicht mindert. Und die Vertrautheit wird mit der Zeit sicherlich wachsen.

Die Stadt Tallinn fällt durch ihre Gegensätze auf. Die Altstadt ist wunderschön mit ihren Plätzen, alten Gebäuden, vielen Kirchen und Cafés. Sie lebt von den Touristen und ist für die Touristen gestaltet. Etwas abseits von den großen Plätzen gibt es noch die alten Holzhäuser, z. T. bilderbuch schön restauriert. Ein besonders altes gepflegtes Gebäude ist die 500 Jahre alte Apotheke am Rand des Rathausplatzes, die bis heute in Betrieb ist.

Ja, die alten Holzhäuser, sie faszinieren uns ganz besonders ! Je weiter wir in die Außenbezirke kommen, desto mehr entdecken wir. Sie strahlen Wärme und Gemütlichkeit aus und haben manchmal noch ganz oben den Holzbalken vom Flaschenzug. Aber viele von ihnen sind auch verfallen, ihren Bewohnern fehlt wohl das Geld, sie zu pflegen. Guckt man in die Fenster, so erstaunt das schön gestaltete “Innenleben”. In so einem Holzhaus wohnen wir für 5 Wochen, im Kalamaja Bezirk in der Nähe vom Kultuurikatel, wo es noch viele davon gibt. Es ist gemütlich und wir fühlen uns wohl hier. Ich genieße besonders die Nähe zu dem kleinen Hafen, auf den wir vom Fenster aus schauen und wo Michael das Nachtvideo gemacht hat. Aber leider gibt es auch einige vollkommen verfallene, längst verlassene Holzhäuser, und ich stelle mir dann vor, wie es sich einstmals darin hat wohnen lassen.

Ganz verrückt sieht es aus, wenn immer mal wieder so ein altes Holzhaus zwischen den Hochhäusern der neuen Industriestadt hervorlugt, wo es sich nicht hat verdrängen lassen !
Genau das sind die Gegensätze von Tallinn. Auf der einen Seite die gestylte Altstadt, die so kuscheligen Holzhäuser und dann die neuen Stadtteile der aufstrebenden Wirtschaft und Industrie. Dort hab ich mich gar nicht wohl gefühlt, als wir von dem schönen Kadriorg-Park wieder zurückliefen und diesen Teil der Stadt mit ihren Hochhäusern und dem dichten Verkehr durchqueren mußten.

Der Kadriorg Park

Der Kadriorg Park ist eine besonders schöne Anlage östlich von Tallinn ganz nah am Meer. Einer sehr lieben Tallinnerin, die dort arbeitet, lag es am Herzen, uns den Park zu zeigen. Sie hat uns abgeholt und mit ihren Zwillingen ein Stückchen – bis zum Spielplatz – durch den Park begleitet. Die alten, z. T. verwachsenen Bäume haben uns besonders gefesselt, Wiesen mit wilden Blumen und dann der Japanische Garten. Hier gibt es viel Wasser, Ruhesteine und wunderschöne Blumen – eine meditative Stimmung. Danke an Katriin!!

Gleich hinter dem Park läuft die Pirita Tee entlang, die breite Prachtstraße/ Promenade zum Olympiazentrum mit dem Jachthafen.